Ort

Vergleichbar mit einem offiziellen Spülsaummonitoring untersuchte ich einen, circa zwei Kilometer langen Strandabschnitt auf der Nordseeinsel Borkum im niedersächsischen Wattenmeer. Im äußersten Norden der Insel bei den »Kobbedünen« wird der Sandstrand etwas schmaler, sodass die Flutsäume näher beieinander und nicht kilometerweit über den Strand verteilt liegen. In diesem Bereich halten sich kaum Touristen auf und Strandgut wird nicht oder nur selten entfernt. Zu verschiedenen Jahreszeiten wie im Spätsommer, Herbst und Winter lief ich eine Strecke von circa vier Kilometern ab dem »Strandübergang Ostland« in Richtung »Hooge Hörn« und wieder zurück.

Die einzigartigen Funde, Stimmungen und Gedanken, die mir hier begegnen, möchte ich konservieren und zugänglich machen.
Zeichnen und Illustrieren erfordert das genaue Hinsehen und intensive Befragen eines Objektes oder Motives nach seinem Charakter: Was ist das Wesentliche? Was ist überflüssig und was kann ich Eigenes hinzufügen oder übertreiben, um seine Wirkung zu verstärken? Die entfernte Landschaft und Menschen werden nebensächlich und der Fokus liegt auf der Erscheinung der Dinge und ihrem unmittelbaren Untergrund.
Screenshot aus COLMAP nach abgeschlossenem »Reconstruction« Prozess: Ursprüngliche frei Hand Kamerapositionen in Rot, Vorschau des Objektes
als Sparse Cloud
Auszug aus Serienbildern, die als Grundlage für die Fotogrammetrie dienen

Fotogrammetrie

Um das Objekt mit dieser Wirkung in den virtuellen Raum zu bringen, nutzte ich das Verfahren der Fotogrammetrie. Über verschiedene Messmethoden und Auswerteverfahren, die eine Software übernimmt, wird dabei ein 3D-Modell aus Fotografien generiert. Dazu müssen Bilder von möglichst allen Seiten des Objektes aufgenommen werden. Wenn ein Punkt auf dem Objekt aus drei Perspektiven (auf drei Fotos) identifiziert werden kann, ist er im Raum eindeutig verortet. Diese Position wird im digitalen Raum rekonstruiert. Die Software leistet das, in Abhängigkeit von der Qualität der Quellbilder, auch für 16 Millionen Punkte und mehr.

Audio

Mit gefundenen Müllobjekten erzeugte ich Sound, den ich entweder vor Ort oder im Innenraum aufnahm. Das Material und Relief der Oberflächen erzeugt bei der typischen Benutzung bereits Geräusche. Durch langsames gegeneinander Reiben oder Verbiegen verstärken sich diese und weitere, unerwartete akustische Phänomene entstehen.
Um Assoziationen zur bisherigen Geschichte oder Herkunft der Dinge auszulösen, wurden zusätzliche Sounds benötigt. Besonders fündig wurde ich am Hafen: Knartschende, rostig-metallische Anleger, Arbeiten mit einer Flex oder quietschende Gummifender mit ewig tickernden Masten der Segelboote bilden hier die Geräuschkulisse. Auf zwei traditionellen Fischkuttern führte ich kurze Interviews und sammelte anschließend Geräusche der Sortiermaschine, Deckwaschpumpe, des Fanggeschirrs beim Anheben und Absenken, des Schiffshorns, des Motors und Bugstrahlruders. Auf einem Arbeitsschiff erfolgten Aufnahmen der aktuellen Lagemeldung über Seefunk, vom Kran beim Aufladen des Beibootes und diverse Motor­engeräusche.

Transformation

Das Transformieren dieser Menge an Daten und Material in eine zusammenhängende erfahrbare Form, erfolgte in der nodebasierten, visuellen Entwicklungsumgebung Touchdesigner. Die Punktwolken und Audio-Sequenzen wurden in der Software in Beziehung gesetzt, durch Timer gesteuert und an verschiedene Interaktionsmöglichkeiten, wie die eigene Position im Raum oder Gesten, gekoppelt. Mit Hilfe der Programmiersprache Python habe ich definiert, dass alle Timer beim Eintreten des Betrachters in das Innere der Objekte pausiert werden. Das geschieht, wenn sich die Person mit der VR-Brille in einen quaderförmigen Bereich um den Mittelpunkt des virtuellen Raumes begibt, der ungefähr den Ausdehnungen des jeweiligen Objektes entspricht.

Tests

Sobald die digitale Umsetzung einen vorzeigbaren Stand erreicht hatte, habe ich eine Gruppe von Testpersonen aus meinem Umfeld, von Studenten, über Werkstattleiter bis Freunde eingeladen, sich den Zwischenstand anzuschauen. Auch wenn die Tests in der Elektromechanischen Werkstatt (EMW) mit einem zu kleinen »Spielbereich« stattfanden, konnte ich die Interaktionen, Reaktionen und Bedürfnisse der Nutzenden beobachten und mit der intendierten Wirkung abgleichen oder Änderungen für das Programm ableiten.

Die Personen konnten den Kontext Strandgut, den Ort Nordsee/Borkum, die Problematiken von Müll in Meeren und Tiermägen, (Mikro)plastik, Tourismus oder Artensterben benennen. Besonders wichtig waren für mich die Schilderungen der emotionalen Eindrücke. So beschrieben alle Personen, dass sie zuerst in eine sehr düstere Stimmung versetzt wurden, anschließend folgten Faszination, Überwältigung und Begeisterung.

Bei allen wurde der Erkundungsdrang anregt, da es so viel zu entdecken gäbe und man die Tiere und Objekte in Gänze erfassen wolle. Im Anschluss entstand Redebedarf in Form von Fragen zu den Objekten, der Insel und der technischen Umsetzung. Zudem wurden persönliche Anekdoten von Funden und dem eigenen Umgang mit Müll am Strand geschildert.